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Grenzen

Kennst Du das: Du fühlst Dich missachtet und mit Füssen getreten, aber Dein Gegenüber fragt voller Unverständnis, warum Du eine Kleinigkeit denn so aufbauschen musst? Heute hat mir mein Mann eine solche Situation geschenkt. Erstaunliches konnte ich bei ihrer Bewältigung entdecken: ich habe 'eigene Grenzen' die beachtet und ausgedrückt werden wollen!

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Es geschah mal wieder in der Zeit des morgendlichen Käffchen trinkens; ich hatte gerade hingebungsvoll Schnee geschippt und freute mich darüber, dass mein Mann schon wach vor dem Ofen lag, als er plötzlich aufstand, in die Küche ging und mit einem Humpen voll Wasser zurück kam. Er kippte das Wasser aus der Tasse in die auf dem Ofen stehende Glasschale. Ich reagierte mit dem Satz ‚eigentlich sollte vorher der Kalk abgewaschen werden’, den er mit dem Satz ‚Du musst es schon früher sagen, wenn Du von mir was willst’ parierte.

Das war alles; nichts ungewöhnliches, oder auffälliges – ein ganz normaler Schlagabtausch...

Ich fragte mich also, warum mir plötzlich jegliche Freude verloren gegangen war. Dann bemerkte ich, wie es in mir heftig zu brodeln anfing. Diesem Impuls gab ich nach und stellte meinem Mann die Gegenfrage, warum er es unterlassen hat mich vorher zu fragen, schließlich hatte er bisher noch nie das Wasser aufgefüllt.

Oh, es waren wieder alle Elemente der allgemeinen Realität vorhanden. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Kämpfe usw.; das kennen wir alle so gut. Hier beschreibe ich die Vorgehensweise und Ergebnisse unseres Aufarbeitens der Situation:


Allgemeine Situationsbeschreibung

1) Der Standpunkt meines Mannes: ich habe entdeckt, dass die Glasschale leer war und habe anders als sonst den Wunsch verspürt sie mit Wasser zu befüllen. Warum sollte ich Dich vorher um Erlaubnis fragen? Warum musst Du diese Kleinigkeit so aufbauschen?

2) Mein Standpunkt: ich habe die Elemente zur Luftbefeuchtung kreiert und seither gepflegt. Ich war anwesend und wurde von Dir ausgeschlossen/übergangen. Mehr noch, Du schiebst mir auf unterschiedlichste Weise den ‚schwarzen Peter’ zu. Ich fühle mich dadurch missachtet und mit Füßen getreten.

Ich erinnerte mich durch die Argumentation meines Mannes an viele verlorene Kämpfe in meiner Vergangenheit (Vater, Chefs...). Damals war es mir unmöglich mein Empfinden in allgemein nachzuvollziehende Worte zu kleiden. Deshalb definierte ich das im Folgenden beschriebene Ziel.

3) Angestrebtes Ziel: Die Worte zu finden, die mein Mann aufzeigen, warum die (in seinen Augen) Nichtigkeit in meinen Augen eine Wichtigkeit ist und er sie als solche akzeptieren kann.

Wir begannen unsere Sichtweisen dem Gegenüber mitzuteilen. Dabei beschrieb mein Mann es als persönlicher Einschnitt in seine Freiheit, jedes mal fragen zu müssen, bevor er etwas tun wollte. Ja, das konnte ich gut nachvollziehen, das war 'normal'. Ich fühlte dabei in mir fast wieder die Hoffnungslosigkeit aufsteigen meinen Standpunkt jemals vertreten zu können. Bei von mir erschaffenen Dingen, hatte ich das Empfinden der Missachtung durch sein Tun und forderte deshalb in sein Tun einbezogen zu werden. Das ist rational nicht vertretbar und wirkt 'unnormal' (Lappalie, unnötiges Aufbauschen, unwichtig usw.). Was gäbe ich für eine vertändliche Formulierung, die meine Situation genauso exakt beschreiben konnte wie seine ('persönlichen Einschnitt in seine Freiheit')! Wie mir gerecht werden???

Um zum definierten Ziel zu kommen waren neue Perspektiven wichtig. Deshalb fragte ich zuerst meinen Mann, wie ich diese Situation anders als missachtend sehen könnte. Er meinte er habe mir eine Arbeit abgenommen und wenn ich die Situation so sehen könnte, das er es für mich getan habe, währe Lebensfreude das Ergebnis.

Ja, das stimmt. Das funktionierte bisher immer super. Jetzt ging es um die Erarbeitung einer anderen Erkenntnis, dass fühlte ich genau. Deshalb konnte ich damit ganz und gar nicht einverstanden sein, denn in seiner Situationsbetrachtung (siehe 1.) und durch seinen Lösungsvorschlag würden meine Empfindungen unterdrückt, anstatt gewürdigt. Genau dieses Gefühl trieb mich ja auf die Barrikaden. In meiner Vorstellungswelt hatte ich das Hoheitsrecht/Urheberrecht (siehe 2.) und hätte er dies respektiert, währe eine entsprechende Frage das Ergebnis gewesen.

Nachdem wir lange diskutiert und gekämpft hatten, viel mir eine fühlbare Schwere auf. Das teilte ich meinem Mann mit und fragte ihn, ob auch er Lust darauf habe, die restliche Zeit des Prozesses in Freude und Leichtigkeit zu erleben. Er meinte zwar, das viele unserer Prozesse in Schwere und Schmerz bearbeitet würden, aber ich machte deutlich, dass wir jederzeit die Wahl hätten, dies zu ändern.

Danach wurde es leichter. Mir fiel das Beispiel eines Alkoholikers ein:

Legt man einem Alkoholiker der gerne und viel Bier trinkt nahe, am Tag nur fünf Biere zu trinken, ist es für ihn ein schwerer Einschnitt in die persönliche Freiheit. Aus der Perspektive eines ‚normalen’ Menschen sind fünf Bier eine ganze Menge. Es ist ganz egal, welche Worte benutzt werden, für den Alkoholiker wird es immer eine heftige Einschränkung bleiben, nur fünf Biere trinken zu dürfen.

Mit diesem Beispiel gelang es mir meine Bedürfnisse und die meines Mannes gleichzustellen. Bis dahin war ich geneigt seine persönliche Freiheit höher zu werten als meine nach Beachtung rufenden Gefühle. Die in diesem Beispiel angewandte krasse Grenzüberschreitung gab mir den entscheidenden Hinweis: Genau so verhält es sich mit noch unsichtbaren persönlichen Grenzen. Für ‚normale’ Menschen ist es ein Einschnitt der persönlichen Freiheit, wenn ein geliebtes Wesen zum ersten mal auf die Achtung seiner Grenze hinweist. Dies ist ein Konflikt! 

Es ist sehr wichtig, dass das geliebte Wesen auf seine persönliche Grenze hinweist. Meistens ist es so, das die Grenze für den Anderen bis zu diesem Zeitpunkt unsichtbar ist. Der Andere hat erst jetzt die freie Wahl, ob er diese Grenze respektieren, oder übertreten will. 

Nun ist es mehr als deutlich, warum für mein Mann die Situation einer Kleinigkeit entsprach – für ihn war meine Grenze unsichtbar. Auch mein Standpunkt der Wichtigkeit ist nun klarer zu erkennen, es ist meine Aufgabe, auf meine persönlichen Grenzen hinzuweisen. Ja, ich habe ein Recht darauf (Grund), wenn meine Grenzen missachtet werden, mir und meinem aktuellen Sein entsprechend, zu reagieren.

Der Unterschied liegt darin, dass mein Gegenüber jetzt nachvollziehen kann, warum ich die Situation in seinen Augen aufbauschen musste - eine meiner persönlichen Grenzen wurde übertreten.So lange hat es gedauert meinem Empfinden Worte zu verleihen, um mein Sein in der allgemeinen Realität vertreten zu können; dank der heutigen Situation kann ich endlich dem ‚Kind’ einen Namen geben: "meine persönliche Grenze"!

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Ab heute weis ich um die tatsächlich vorhandene Wichtigkeit meines Empfindens. Egal, ob es aus einer 'Wunde', einem Verhaltensmuster o.ä. entstand - es drückt mein aktuelles Befinden aus. All meine Selbstzweifel bezüglich der von Anderen kommunizierten Nichtigkeit/Lappalie dürfen jetzt gehen. Ich werde meine Grenzen bemerken, sie (und damit mich und meinen aktuellen Ausdruck) liebevoll annehmen und in Klarheit meiner Umgebung mitteilen und vertreten. 

Aus der Liebe zu Allem-Was-Ist

Brigitte